Mit dem Titel des 1919 erschienen Tucholsky-Gedichts „Krieg dem Kriege“ haben die Intendanz der Württembergischen Landesbühne und unser Bundestagsabgeordneter im Wahlkreis Esslingen, Sebastian Schäfer, zu einer Diskussion mit Marieluise Beck ins Esslinger Schauspielhaus eingeladen. Viele Bürger*innen nicht nur aus Esslingen nahmen das Angebot an und kamen in die WLB, um sich über Putins Vernichtungskrieg in der Ukraine zu informieren und über die Folgen zu diskutieren.
Den Intendanten und Sebastian Schäfer war es wichtig, einen Raum für Austausch und Information zu bieten. „Wir sind uns einige darin, dass Putin nicht gewinnen darf und wir den Freiheitskampf der Ukraine entschlossen unterstützen müssen“, so Schäfer. „Mit Marieluise Beck konnten wir für die heutige Veranstaltung eine Top-Expertin gewinnen“.
Marieluise Beck ist eine über Parteigrenzen hinaus sehr geachtete Außenpolitikerin mit dem Schwerpunkt Ost- und Südosteuropa und genießt hohes Ansehen als Verfechterin einer menschenrechtsorientierten Außen- und Sicherheitspolitik. Mit ihrem Engagement und ihrem politischen Mut verfügt sie über weitgespannte Netzwerke in Politik und Zivilgesellschaft in Russland, der Ukraine und Südosteuropa. Gemeinsam mit ihrem Mann Ralf Fücks leitet sie heute das Zentrum für Liberale Moderne, einen Thinktank mit dem Arbeitsschwerpunkt Osteuropa. <https://libmod.de/>
Im Gespräch mit WLB-Intendant Marcus Grube skizzierte sie jene Entwicklungen, die schließlich zum Krieg führten. Mit dem Zerfall des ehemaligen Sovjet-Reiches sind zugleich viele wichtige Institutionen und Strukturen zerfallen, die es für eine gute demokratische Entwicklung des Landes gebraucht hätte. Wohingegen das System der Geheimdienste weiterhin funktionierte und den Aufstieg Putins ermöglichte. Man hätte schon damals erkennen können, in welche Richtung sich das Land unter Putin entwickeln werde, denn dieser verfolgte eine deutliche imperiale Expansionspolitik, die die Länder des ehemaligen Zarenreichs als seine Quasi-Kolonien ansah. Marieluise Beck: „Doch während Putin genau diese Ziele offenkundig verfolgt hatte, gab es 2001 stehende Ovationen für ihn im Deutschen Bundestag.“
Beck spricht dabei von krassem politischem Versagen und von aktivem Wegsehen der deutlich sichtbaren militaristischen und aggressiven Politik Putins, die von der Vernichtung Grosnys in Tschetschenien, der Krim-Annexion bis zur Zerstörung Aleppos reiche. Den neuen Realitäten wollte man sich nicht stellen. Denn das über die Jahrzehnte des Kalten Krieges und danach funktionierende System „Wandel durch Handel“ und das historisch gute Verhältnis der deutschen Industrie zum Rohstoffschweren Russland sorgte mit eigener Wertschöpfung, Arbeitsplätzen und starken Export zu großem Wohlstand bei uns. Eine gefährliche Mischung aus Angst und Unsicherheit, dass unser Wohlstand von Russland abhänge, Naivität und blinder Wirtschaftslogik zugleich.
Die aktuelle Situation in manchen Regionen und Städten der Ukraine beschreibt Beck als „Völkermord“. Alle Voraussetzungen seien dafür gegeben. Es kommt zu systematischen Vergewaltigungen und Erschießungen von Ukrainerinnen und Ukrainern. Putin verfolge mit seinem Vernichtungskrieg die Entvölkerung und Vernichtung des ukrainischen Volks – eine Ukraine ohne Ukrainer*innen.
Für die Osteuropa-Expertin und die Teilnehmer*innen ist klar: Wir müssen den Freiheitskampf der Ukraine entschlossener unterstützen. Putin darf nicht gewinnen. Dafür muss die Bundesregierung mehr tun als bisher – es kann kein Zurück mehr zum „Business as usual“ geben.
Insgesamt keine schöne Zeiten, in denen wir aktuell leben, bilanziert Beck: Viele Verwerfungen, die ein friedliches Europa gefährden sowie Rechtspopulisten und Coronaleugner, deren Plan es ist, das Vertrauen in unsere Institutionen zu zerstören. Doch genau diese bauchen wir für die Stabilität unseres Systems, um die enormen Herausforderungen der Zukunft bewältigen und ein friedliches Miteinander gewährleisten zu können.
Für Sebastian Schäfer kommt hinzu, dass es jetzt umso dringlicher ist, sich aus der Abhängigkeit Russlands und der fossilen Energieträger zu befreien und in Deutschland (und Europa) den Turbo im Ausbau erneuerbarer Energien einzulegen. „Endlich geht es entschlossen voran mit der Energiewende!“
Vielen Dank an die beiden WLB-Intendanten Friedrich Schirmer und Marcus Grube, der wunderbar moderiert hat. Gleichermaßen geht der Dank an die Studierenden der Musikhochschule Stuttgart, unter ihnen zwei junge Ukrainerinnen, die als Gaststudierende in Stuttgart aufgenommen wurden, für den zurecht viel beklatschten künstlerischen Rahmen.