Schulden sind kein Allheilmittel
Mit dem neu geschaffenen Sondervermögen stehen unserem Land bis zu 500 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung: 300 Milliarden für Infrastruktur, 100 Milliarden für Klimaschutz, 100 Milliarden für Länder und Kommunen. Das ist eine historische Chance, unser Land auf den Weg in eine nachhaltige, digitale und resiliente Zukunft zu bringen, mit modernen Schienen, erneuerbaren Energien, digitaler Verwaltung, einer widerstandsfähigen Wirtschaft und einer Bildungspolitik, die Teilhabe und Innovation nach vorne bringt. Dass wir Grünen im März 2025 die nötige Grundgesetzänderung mitgetragen haben, war nach harten Verhandlungen richtig. Denn nach Jahren des Investitionsstaus und der Blockade durch Union und FDP war klar: Deutschland muss endlich handeln und entschlossen investieren - und zwar zusätzlich zu allem, was bisher geplant war.
Doch das Sondervermögen ist kein Freifahrtschein. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass Bundesfinanzminister Lars Klingbeil plant, damit Haushaltslöcher zu stopfen, die die Koalition selbst durch teure, fragwürdige Entlastungen wie die Ausweitung der Pendlerpauschale oder Steuergeschenke für Einzelgruppen mitverursacht hat. Der gemeinsame Beschluss des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten will jegliche Zusätzlichkeitsanforderung bei den Mitteln für die Länder aufgeben. Das widerspricht nicht nur dem Geist der Einigung, das verhöhnt generationengerechte Verantwortung.
Unsere Unternehmen brauchen wirtschaftliche Impulse, unsere Infrastruktur muss modernisiert werden und auf unsere kommunale Daseinsvorsorge müssen sich die Menschen vor Ort verlassen können. Dafür kann in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Kreditaufnahme sinnvoll sein. Es war die Politik der letzten Jahrzehnte, die unser Land auf Verschleiß gefahren hat. Insbesondere die wirtschaftlich goldenen 2010er Jahre mit einer langen Nullzinsphase blieben sträflich ungenutzt. Nun hat die Bundesregierung so viel finanziellen Verschuldungsspielraum zur Verfügung wie keine Bundesregierung vor ihr. Aber: Schulden allein lösen keine strukturellen Probleme. Sie sind ein Instrument, kein Ersatz für Entscheidungen, die die Politik zu lange vermieden hat: bei Strukturreformen, bei Steuergerechtigkeit und bei der Priorisierung staatlicher Aufgaben.
Allein unsere Sozialversicherungen – Rente, Gesundheit, Pflege, Arbeitslosigkeit – stehen vor massiven Finanzierungslücken. Das Finanzierungsdefizit belief sich trotz massiver Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2024 auf 10,5 Milliarden Euro. Diese Lücken allein mit weiteren Zuschüssen zu schließen, ist keine dauerhafte Lösung. Es braucht dafür dringend strukturelle Reformen, vor allem auch auf der Kostenseite. Wer all das einfach mit neuen Schulden ausgleicht oder in Arbeitskommissionen für die anstehende Wahlperiode vertagt, verlagert die Probleme nur in die Zukunft und verteilt die Lasten weiter an die jungen Menschen.
Unser Steuer- und Abgabensystem verschärft heute bestehende Ungleichheiten. Während Gutverdienende, Kapitalanleger und Erben Vermögen aufbauen, trägt die breite Mitte die Hauptlast - über Lohnsteuer, Sozialabgaben und steigende Lebenshaltungskosten. Diese Schieflage ist politisch gewachsen und sie kann politisch verändert werden. Wir brauchen deshalb eine ehrliche Debatte über gesellschaftliche Prioritäten, Strukturreformen und eine gerechtere Steuerpolitik, die hohe Vermögen und Kapitalerträge endlich konsequent in die Finanzierung unseres Gemeinwesens einbindet und Steuervermeidung wesentlich eindämmt.
Der Bundesrechnungshof beziffert das Potenzial allein beim Abbau von Steuervergünstigungen auf bis zu 30 Milliarden Euro jährlich - Geld, das dringend für Bildung, Klimaschutz und soziale Infrastruktur gebraucht wird. Wenn wir jetzt Investitionen mit Schulden finanzieren, ohne dabei die Einnahmeseite gerecht zu stärken, verschärfen wir die Ungleichheit und belasten die Zukunft doppelt.
Die Schuldenbremse zu reformieren, ist ein logischer nächster Schritt. Wir brauchen eine zukunftsfähige Finanzarchitektur in Deutschland, die im Einklang mit den europäischen Fiskalregeln ist, unserem Land dringend notwendige Investitionen ermöglicht und kommenden Generationen Gestaltungsspielraum lässt. Lars Klingbeil muss schnell die versprochene Expertenkommission einberufen und mit Offenheit und Tempo die finanzpolitischen Grundsatzfragen diskutieren.
Die Haushaltspolitik der nächsten Jahre entscheidet über das soziale Fundament dieser Republik. Schulden helfen nur dann, wenn sie klug investiert werden und wenn wir sagen können: Ja, wir finanzieren diese Zukunft unseres Landes und für nachfolgende Generationen gemeinsam. Und gerecht.
Wir brauchen eine Haushaltspolitik, die unterscheidet zwischen kurzfristiger Entlastung und langfristiger Stabilität. Zwischen bloßem Schuldenmachen und echter Zukunftsvorsorge. Wenn wir das nicht tun, riskieren wir nicht nur finanzielle Stabilität, sondern auch das Vertrauen in Politik, Staat und Demokratie.
Sebastian Schäfer, Haushaltspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen im Deutschen Bundestag.